In 2003 habe ich einen Übersichtsartikel über das Lymphsystem geschrieben, in dem ich die Besonderheiten des Lymphsystems in verschiedenen Tierarten erwähne. Allerdings habe ich mit bezüglich der Fische schwer geirrt, oder zumindest eine sehr unvollständige Beschreibung abgeliefert.
Während Säugetiere, Vögel, Reptilien und Amphibien sehr gut definierbare Tierklassen sind, gibt es keine Tierklasse "Fische". Es gibt zwar viele verschiedene Klassifizierungen von Fischen, aber mindestens drei Tierklassen sind nötig, um zumindest die lebenden Fische einzuteilen: Knorpelfische, Strahlenflosser and Fleischflosser. So gut wie alle Studien über das Lymphsystem von Fischen sind in den Teleostei (Echten Knochenfischen) gemacht worden. Die Echten Knochenfische bilden eine der drei Unterklassen der Strahlenflosser. Teleostei umfassen die meisten der lebenden Arten und auch den am besten erforschten Fisch, den Zebrafisch (Danio rerio). Alles, was im folgenden gesagt wird, bezieht sich auf diese Unterklasse (und es kann sein, das es sich bei Haifischen oder beim Stör ganz anders verhält, weil diese nicht zu den echten Knochenfischen zählen.
Ältere Veröffentlichungen lassen keinen Zweifel an der Existenz des Lymphsystems in Teleostei. In 1981 wurde dann das Sekundäre Vaskuläre System (SVS) in Teleost-Fischen von Vogel und Claviez beschrieben (Vogel WOP, Claviez M: Vascular specialization in fish, but no evidence for lymphatics. Z Naturforsch 36c:490–492), und es erschien identisch mit dem, was früher als Lymphsystem bei Fischen beschreiben worden war. Weil aber das Plasma in diesem System arteriellen Ursprungs war und nicht aus dem Interstitium drainiert wurde, wurden ihm per Definition der lymphatische Charakter aberkannt.
Im Jahre 2006 veröffentlichten Brant Weinstein und Stefan Schulte-Merker Forschungsergebnisse, die die Existenz des lymphatischen Sytems in Zebrafischen nachweisen, und zwar nicht nur aufgrund seines molekularen und genetischen Ursprungs, sondern auch funtionell (zumindest in Zebrafisch-Larven). Eine kontroverse Antwort von Vogel auf die "wiederentdeckten" Lymphbahnen in Zebrafischen wurde 2010 veröffentlicht. Vielleicht war es ein Fehler der "Wiederentdecker", das Thema SVS in Teleost-Fischen komplett zu umschiffen: Es ist schlimmer, ignoriert zu werden als unrecht gehabt zu haben.
Neue Studien in grösseren Teleost-Fischen bestätigen die Existenz des SVS und des arteriellen Ursprungs seines Plasmas. Die Autoren dieser Studien scheinen dieses SVS mit dem "wiederentdeckten" Lymphsystyem in Danio rerio gleichzusetzen. Demgegenüber reagieren die an den Zebrafischen arbeitenden Forscher erheblich zurückhaltender auf meine Frage, ob das Lymphsystem der Zebrafische identisch mit dem SVS sei oder ob Zebrafische ein vom Lymphsystem separates SVS hätten.
Vogel möchte die herkömmliche Nomenklatur beibehalten, in der ein Lymphsystem anatomisch definiert wird als "Gefäße ohne arteriellen Zufluß, die sich in das venöse System entleeren" (Vogel WOP. Zebrafish and lymphangiogenesis: a reply. Anat Sci Int [Internet]. 2010; 85(2):118–9. Meine Meinung ist, dass wenn das SVS und das Lymphsystem der Teleost-Fische sich aufgrund ihrer molekularen Marker und ihres genetischen Ursprungs als identisch herausstellen sollten, es angebracht wäre, vom "Lymphsystem" zu sprechen. Genauso haben wir doch alle akzeptiert, dass wir heutzutage Organismen nach ihrem genetischen Code klassifizieren und nicht mehr nach ihren anatomischen Ähnlichkeiten.
Während ich mich auf meine Doktorverteidigung vorbereitete, habe ich viele und vor allem ältere Literatur über das Lymphgefäßsystem in Fischen und anderen Nicht-Säugentieren gelesen. Da war es ein Vorteil, das ich deutscher Muttersprachler bin, denn ein Grossteil der Vorkriegsliteratur wurde auf Deutsch verfasst. Ich habe auch damals viele Artikel kopiert und weil ich manchmal nach denen gefragt werde, möchte ich sie hiermit öffentlch zugänglich machen. Hier ist die erste Ladung, mehr kommt hoffentlich später.