Wissenschaft basiert auf den Resultaten vorausgegangener Forschung; wir sind Zwerge auf den Schultern von Riesen [1]. Dieser Vortrags will zeigen, wie wir von einer Fragestellung zur nächsten treiben und uns so langsam und mit Umwegen einem Gesamtverständnis des Lymphgefäßsystems nähern.
Gene des VEGF-C/VEGFR-3 Signaltransduktionswegs können von Mutationen betroffen sein, die sich direkt in erblichen Lymphödemen oder als Prädisposition für erworbene Lymphödeme manifestieren. Z.B verursachen Mutationen im Wachstumsfaktor VEGF-C (Vascular Endothelial Growth Factor-C)[2] und seinem Rezeptor VEGFR-3 [3] erbliche Lymphödeme. 2009 wurden Mutationen im CCBE1-Gen als Ursache des Hennekam-Syndroms (Hauptsymptom: generalisiertes Lymphödem) identifiziert [4]. Daraufhin haben wir die Molekularpathogenese des Hennekam-Syndroms erforscht. Die wichtigsten Ergebnisse: 1) VEGF-C muss enzymatisch geschnitten werden, um aktiv zu werden, 2) Das verantwortliche Enzyme ist ADAMTS3 3) CCBE1 beschleunigt die VEGF-C-Aktivierung [5].
Wie die Beschleunigung funktioniert, war unbekannt. Das CCBE1-Protein besteht aus zwei unterschiedlichen Teilen („Domänen“). Verschiedene Labore waren sich uneinig, welche der beiden Domänen die Beschleunigung verursacht [6,7]. Letztendlich zeigt sich, dass beide Domänen unabhänig voneinander die VEGF-C-Aktivierung beschleunigen. Die N-terminale Domäne tut dies, indem sie VEGF-C und ADAMTS3 z.B. auf Zelloberflächen konzentriert [8]. Die CCBE1- und die ADAMTS3- Knock-out-Mäuse [9,10] bestätigten unsere Ergebnisse: in diesen Mäusen entwickelt sich das Lymphgefäßsystem nicht. Danach wollten wir wissen, ob es ausser ADAMTS3 andere Enzyme gibt, die VEGF-C aktivieren. Wir vermuteten, dass solche Enzyme am pathologisches Lympfgefäßwachstum bei Tumorerkrankungen oder an der Wundheilung beteiligt sein könnten.
Auf die richtige Spur brachte uns Matsumura et al., der eine Tetrapeptid-Bibliothek mit Kallikrein-like pepdidase 4 (KLK4) gescreent und daraufhin ~70 potentielle Substrate für KLK4 postuliert hatte, darunter auch VEGF-C [11]. Wir haben erfolglos KLK4 getestet, aber KLK3 (= Prostata-spezifisches Antigen) aus unserem Nachbarlabor war erfolgreich. Die physiologische Funktion von PSA ist die Verflüssigung des Ejakulats, damit Spermatozoen schwimmen können. Wir fanden beträchtliche Mengen VEGF-C in Samenfüssigkeit, die zeitgleich mit der Verflüssigung des Ejakulats aktiviert wurden [12]. Neben einer potentiellen Funktion für die Reproduktion könnte VEGF-C durch sein (lymph)angiogenes Potential den bisher undefinierten Zusammenhang zwischen PSA-Werten und Prostatakrebs-Prognose herstellen. Von den andere Körperflüssigkeiten, die wir untersucht haben, aktivierte Speichel sehr effizient VEGF-C. Als aktivierende Protease identifizierten wir Cathepsin D [12]. Unsere Arbeitshypothese ist, dass Wundlecken inaktives, in der extrazellulären Matrix deponiertes VEGF-C aktiviert und damit die Wundheilung beschleunigt. Darüberhinaus wurde Cathepsin D interessanterweise schon vor 30 Jahren mit lymphatischer Mammakarzinom-Metstasierung in Verbindung gebracht [13]. Unsere nächsten Experimente werden überprüfen, welche Proteasen VEGF-C in real existierenen Tumoren aktivieren und ob sich lymphatische Tumormetastasierung durch spezifische Protease-Hemmer verhindern oder verzögern lässt.