Lymphologische (Grundlagen-)Forschung: wie funktioniert das?

Vortrag für den 43. Jahreskongress der Deutschen Desellschaft für Lymphologie

 

PD Dr. Michael Jeltsch

Universität Helsinki & Wihuri-Forschungsinstitut

Haartmaninkatu 8

FIN-00290 Helsinki, Finnland

michael@jeltsch.org

 

Wissenschaft basiert auf den Resultaten vorausgegangener Forschung; wir sind Zwerge auf den Schultern von Riesen [1]. Dieser Vortrags will zeigen, wie wir von einer Fragestellung zur nächsten treiben und uns so langsam und mit Umwegen einem Gesamtverständnis des Lymphgefäßsystems nähern.
Gene des VEGF-C/VEGFR-3 Signaltransduktionswegs können von Mutationen betroffen sein, die sich direkt in erblichen Lymphödemen oder als Prädisposition für erworbene Lymphödeme manifestieren. Z.B verursachen Mutationen im Wachstumsfaktor VEGF-C (Vascular Endothelial Growth Factor-C)[2] und seinem Rezeptor VEGFR-3 [3] erbliche Lymphödeme. 2009 wurden Mutationen im CCBE1-Gen als Ursache des Hennekam-Syndroms (Hauptsymptom: generalisiertes Lymphödem) identifiziert [4]. Daraufhin haben wir die Molekularpathogenese des Hennekam-Syndroms erforscht. Die wichtigsten Ergebnisse: 1) VEGF-C muss enzymatisch geschnitten werden, um aktiv zu werden, 2) Das verantwortliche Enzyme ist ADAMTS3 3) CCBE1 beschleunigt die VEGF-C-Aktivierung [5].
Wie die Beschleunigung funktioniert, war unbekannt. Das CCBE1-Protein besteht aus zwei unterschiedlichen Teilen („Domänen“). Verschiedene Labore waren sich uneinig, welche der beiden Domänen die Beschleunigung verursacht [6,7]. Letztendlich zeigt sich, dass beide Domänen unabhänig voneinander die VEGF-C-Aktivierung beschleunigen. Die N-terminale Domäne tut dies, indem sie VEGF-C und ADAMTS3 z.B. auf Zelloberflächen konzentriert [8]. Die CCBE1- und die ADAMTS3- Knock-out-Mäuse [9,10] bestätigten unsere Ergebnisse: in diesen Mäusen entwickelt sich das Lymphgefäßsystem nicht. Danach wollten wir wissen, ob es ausser ADAMTS3 andere Enzyme gibt, die VEGF-C aktivieren. Wir vermuteten, dass solche Enzyme am pathologisches Lympfgefäßwachstum bei Tumorerkrankungen oder an der Wundheilung beteiligt sein könnten.
Auf die richtige Spur brachte uns Matsumura et al., der eine Tetrapeptid-Bibliothek mit Kallikrein-like pepdidase 4 (KLK4) gescreent und daraufhin ~70 potentielle Substrate für KLK4 postuliert hatte, darunter auch VEGF-C [11]. Wir haben erfolglos KLK4 getestet, aber KLK3 (= Prostata-spezifisches Antigen) aus unserem Nachbarlabor war erfolgreich. Die physiologische Funktion von PSA ist die Verflüssigung des Ejakulats, damit Spermatozoen schwimmen können. Wir fanden beträchtliche Mengen VEGF-C in Samenfüssigkeit, die zeitgleich mit der Verflüssigung des Ejakulats aktiviert wurden [12]. Neben einer potentiellen Funktion für die Reproduktion könnte VEGF-C durch sein (lymph)angiogenes Potential den bisher undefinierten Zusammenhang zwischen PSA-Werten und Prostatakrebs-Prognose herstellen. Von den andere Körperflüssigkeiten, die wir untersucht haben, aktivierte Speichel sehr effizient VEGF-C. Als aktivierende Protease identifizierten wir Cathepsin D [12]. Unsere Arbeitshypothese ist, dass Wundlecken inaktives, in der extrazellulären Matrix deponiertes VEGF-C aktiviert und damit die Wundheilung beschleunigt. Darüberhinaus wurde Cathepsin D interessanterweise schon vor 30 Jahren mit lymphatischer Mammakarzinom-Metstasierung in Verbindung gebracht [13]. Unsere nächsten Experimente werden überprüfen, welche Proteasen VEGF-C in real existierenen Tumoren aktivieren und ob sich lymphatische Tumormetastasierung durch spezifische Protease-Hemmer verhindern oder verzögern lässt.


Bibliographie

  1. Zwerge auf den Schultern von Riesen. Wikipedia (2019). https://de.wikipedia.org/wiki/Zwerge_auf_den_Schultern_von_Riesen
  2. Gordon, K. et al. Mutation in Vascular Endothelial Growth Factor-C, a Ligand for Vascular Endothelial Growth Factor Receptor-3, Is Associated With Autosomal Dominant Milroy-Like Primary LymphedemaNovelty and Significance. Circulation Research 112, 956–960 (2013). https://doi.org/10.1161/CIRCRESAHA.113.300350
  3. Karkkainen, M. J. et al. Missense mutations interfere with VEGFR-3 signalling in primary lymphoedema. Nature Genetics 25, 153–159 (2000). https://doi.org/10.1038/75997
  4. Alders, M. et al. Mutations in CCBE1 cause generalized lymph vessel dysplasia in humans. Nature Genetics 41, 1272–1274 (2009). https://doi.org/10.1038/ng.484
  5. Jeltsch, M. et al. CCBE1 Enhances Lymphangiogenesis via A Disintegrin and Metalloprotease With Thrombospondin Motifs-3–Mediated Vascular Endothelial Growth Factor-C Activation. Circulation 129, 1962–1971 (2014). https://doi.org/10.1161/CIRCULATIONAHA.113.002779
  6. Bos, F. L. et al. CCBE1 Is Essential for Mammalian Lymphatic Vascular Development and Enhances the Lymphangiogenic Effect of Vascular Endothelial Growth Factor-C In VivoNovelty and Significance. Circulation Research 109, 486–491 (2011). https://doi.org/10.1161/CIRCRESAHA.111.250738
  7. Roukens, M. G. et al. Functional Dissection of the CCBE1 Protein. A Crucial Requirement for the Collagen Repeat Domain. Circ Res 116, 1660–1669 (2015). https://doi.org/10.1161/CIRCRESAHA.116.304949
  8. Jha, S. K. et al. Efficient activation of the lymphangiogenic growth factor VEGF-C requires the C-terminal domain of VEGF-C and the N-terminal domain of CCBE1. Sci Rep 7, 4916 (2017). https://doi.org/10.1038/s41598-017-04982-1
  9. Janssen, L. et al. ADAMTS3 activity is mandatory for embryonic lymphangiogenesis and regulates placental angiogenesis. Angiogenesis 1–13 (2015). https://doi.org/10.1007/s10456-015-9488-z
  10. Bui, H. M. et al. Proteolytic activation defines distinct lymphangiogenic mechanisms for VEGFC and VEGFD. J Clin Invest 126, 2167–2180 (2016). https://doi.org/10.1172/JCI83967
  11. Matsumura, M. et al. Substrates of the prostate-specific serine protease prostase/KLK4 defined by positional-scanning peptide libraries. The Prostate 62, 1–13 (2005). https://doi.org/10.1002/pros.20101
  12. Jha, S. K. et al. KLK3/PSA and cathepsin D activate VEGF-C and VEGF-D. eLIFE (2019) https://doi.org/10.7554/eLife.44478.
  13. Spyratos, F. et al. Cathepsin D: An Independent Prgnostic Factor for Metastasis of Breast Cancer. The Lancet 334, 1115–1118 (1989). https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0140673689914876